Wir Menschen im Westen idealisieren extrovertierte Persönlichkeiten. Man glaubt hier, dass diese tendenziell erfolgreicher sind als zurückhaltende und leise Menschen. Wer laut und dominant auftritt, dem traut man viel zu.
Die Eigenschaft Introversion hingegen wird noch ziemlich oft missverstanden. In manchen Unternehmen gilt sie gar als Schwäche: Wer zu seiner ruhigen Persönlichkeit steht, riskiert Karriere-Nachteile.
Eine solche Unternehmenskultur ist talentfeindlich. Sie hindert Introvertierte in ihrer natürlichen Wirkung und Entfaltung, wie ich in meiner täglichen Praxis als Kommunikationstrainer für die Leisen immer wieder erfahre.
Fakt ist: Extrovertierte sind nicht „normaler“ als Introvertierte, und keiner der Persönlichkeitstypen ist besser als der andere.
Dennoch ist der Anpassungsdruck auf seiten der zurückhaltenden Menschen gross. Sie sollten einem Stereotyp entsprechen, gesellig, kontaktfreudig und dynamisch sein.
Das ist vermutlich ein Grund, warum introvertierte Menschen als eine Minderheit wahrgenommen werden. Sie zeigen sich weniger, fallen nicht auf und unterdrücken ihre ruhige Persönlichkeit. Sie geben sich extrovertierter als sie in Wahrheit sind.
Das halte ich für falsch und auf Dauer ungesund. Fehlende Selbstakzeptanz ist eine schlechte Voraussetzung für wirklichen Erfolg im Leben (wie immer man Erfolg definiert). Ein ruhiges und in sich gekehrtes Wesen ist jedenfalls kein Hindernis dafür, in dieser Welt Grosses zu erreichen.
Den Beweis liefert eine Liste berühmter Persönlichkeiten, die - nach den Eigenschaften, die über sie berichtet werden - introvertiert sind. Darauf finden sich überaus erfolgreiche Unternehmer, Künstler, Politiker, Entertainer und Wissenschaftler.
Es sind Menschen, die selbstbewusst ihr Ding durchziehen und eher selten gesellige Situationen suchen. Sie sind gerne alleine und entscheiden sich gezielt dagegen, bei jeder Party mitzutanzen. Stattdessen widmen sie sich konzentriert und leidenschaftlich ihren Aufgaben und Projekten.
Zum Beispiel der kanadische Schauspieler und Musiker Keanu Reeves. Er bezeichnet sich als einen nachdenklichen Menschen. Im Rampenlicht zu stehen, gehöre einfach zu seinem Job, aber es sei definitiv nicht seine Lieblingsbeschäftigung, über rote Teppiche zu laufen und Interviews zu geben.
In einem Spiegel-Interview sagte er: "Ich lebe gerne zurückgezogen, habe einen soliden Freundeskreis und eine Familie, auf die ich bauen kann. Das reicht mir."
Auch der Hollywood-Haudege Clint Eastwood ist introvertiert. Beinahe hätte er sich in jungen Jahren gegen eine Schauspieler-Karriere entschieden, weil er dachte, das sei ein Beruf für Extrovertierte.
"Ich realisierte erst als Erwachsener, dass dem nicht so ist", verriet er als 89jähriger in einem Interview der "Washington Post".
Überhaupt zählen viele Schauspieler zu den introvertierten Menschen, zum Beispiel
Zu den eher ruhigen Naturen gehören ebenso die Filmproduzenten und Multitalente George Lucas, Steven Spielberg, Woody Allen und Alfred Hitchcock.
Offensichtlich beeinträchtigt ihre Persönlichkeit diese Giganten keineswegs in ihrer Darstellungskunst. Im Gegenteil, Clint Eastwood sagt: "Introvertierte können grossartige Schauspieler sein, weil sie über ein reiches Innenleben verfügen." Es sei einzig eine Frage, wie man lerne, sich auszudrücken.
Und, wie ein anderer Schauspieler einer lokalen Theaterbühne sagt: "Es geht vor allem darum, zu wissen, wie man seine Batterien wieder auflädt und sich deswegen genügend Zeit für sich einplant." Das sei der Schlüssel.
Auch unter berühmten Musikern finden sich zahlreiche Introvertierte. Zum Beispiel Keith Richards, Gitarrist der Rolling Stones, eine Ikone des Rock'n'Roll und berüchtigt für sein exzessives Tourleben. Doch privat sei der Songwriter, der mit Mick Jagger zahlreiche legendäre Hits geschrieben hat, ein sehr stiller Mensch, der seinem Image überhaupt nicht entspreche, sagte der Bandkollege, Schlagzeuger Charlie Watts (der mindestens so introvertiert war wie Richards). Auch Bill Wyman, 30 Jahre der Bass-Gitarrist der Stones, bezeichnet seinen ehmaligen Bandkumpel als "sehr introvertiert."
Weitere bekannte introvertierte Musiker sind etwa der "King of Pop" Michael Jackson, sein nicht minder erfolgreicher Rivale Prince, oder der schillernde Queen-Sänger Freddie Mercury, eine wahre "Rampensau" und einer der wohl besten Frontmänner der Rockgeschichte. Dieser sagte über sich selber, er sei extrovertiert auf der Bühne und introvertiert im Privatleben. Abseits der Auftritte sei er ein komplett anderer Mensch.
Zur Liste zählen weiter der Sänger und Schauspieler Tom Waits, der Musiker und Lyriker sowie Nobelpreisträger Bob Dylan oder der Komponist und Pianist Frédéric Chopin.
Erfolgreiche Introvertierte finden sich auch in Wirtschaft und Politik.
So sind etwa die beiden steinreichen Unternehmer, Grossinvestoren und Mäzen Warren Buffet und George Soros ebenfalls zurückhaltende und leise Typen. Ebenso der streitbare Social-Media-Gigant Marc Zuckerberg. Wäre er kontaktfreudig und gesellig, gäbe es Facebook nicht. Zuckerberg ist der wohl einflussreichste und erfolgreichste Introvertierte auf diesem Planeten. In dieser Rolle hat er Bill Gates abgelöst. Der Microsoft-Mitgründer ist ebenfalls introvertiert, immens erfolgreich und astronomisch reich, genau wie Google-Mitbegründer Larry Page oder der geniale Apple-Erfinder Steve Wozniak.
Da ist es keine Überraschung mehr, dass auch Albert Einstein zu den introvertierten Menschen zählte. Zeit seines Lebens betonte er die Macht der Phantasie und der eigenen Gedanken. Sich selber attestierte er keine besondere Begabung, sondern sagte: "Ich bin nur leidenschaftlich neugierig."
Der amerikanische Ex-Präsident Barack Obama gilt als grossartiger Redner und entspricht so gar nicht nicht dem Klischee vom schüchternen, in sich gekehrten und wenig durchsetzungskräftigen Introvertierten.
Obama arbeitet gerne alleine und durchdringt Themen ein, bis er sie versteht. Der Politikjournalist John Heilemann bezeichnete ihn als "introvertierten Einzelgänger mit aussergewöhnlichem Kommunikationstalent". Obama ist offensichtlich einer jener Introvertierten, die durch ihre ruhige, ernste und echte Art andere Menschen erreichen und bewegen kann.
Auch die mächtigste Frau der Welt gehört zum Lager der Introvertierten. Das natürliche Kommunikationstalent eines Barack Obama geht der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel zwar ab. Doch ihr Amt übt sie nicht minder souverän aus und überzeugt ihre Wählerinnen und Wähler mit stoischer Ruhe und Ernsthaftigkeit.
Introvertierte Menschen sind weder besser noch schlechter als Extrovertierte. Sie funktionieren einfach anders.
Mit der Liste möchte ich ein Vorurteil ausräumen: Introversion scheint kein Nachteil zu sein, wenn es darum geht, Grosses zu bewirken.
Voraussetzung für Erfolg ist weniger eine angeborene Persönlichkeitseigenschaft als vielmehr die Besinnung auf die eigenen Stärken. Introvertierte besitzen in der Regel eine überdurchschnittliche Konzentrationsfähigkeit und Beharrlichkeit. Sie können sich in Aufgaben und Themen vertiefen und arbeiten gerne alleine und ungestört.
Daher glaube ich an diese zwei Thesen:
Leise Menschen regieren die Welt!